Schreibwerkstatt Tennenlohe - Schreibwerkstatt Tennenlohe - Schreibwerkstatt Tennenlohe

Damit Sie sich noch ein bisschen besser vorstellen können, was man in einer Schreibwerkstatt schreiben kann, stelle ich hier einmal zwei kleine Schreibaufgaben vor. Folgende Texte habe ich während meiner ersten Teilnahme an einer Schreibwerkstatt verfasst:

Aufgabe: Wir hatten ein Gedicht als Vorlage und sollten die Art übernehmen, die Zeilen nur mit anderem Inhalt füllen. Folgende Gedichte sind bei mir dabei entstanden:


Nur Worte?

der Zug
der Koffer
die Jacke
die neue Kette
die Tränen
die aufsteigende Verzweiflung
Ende einer Romanze

Feder2

der Koffer
die Tür
die Bierflasche
die blauen Flecken
die rettende Wut
letzter verlorener Streit

Aufgabe: Wir sollten einmal aus einem ganz anderen Blickwinkel erzählen, und zwar....

Meine Haare erzählen:
Das Leben ist ungerecht!
Es fing schon damit an, dass wir bei der Geburt unserer Trägerin im Grunde nicht vorhanden waren und uns natürlich manches „Das wird schon noch“ anhören mussten. Nachdem diese tröstliche Prophezeiung doch tatsächlich eintrat, waren wir allerdings nicht so ganz sicher, ob das von Vorteil war. Anscheinend glichen wir uns ziemlich unserer Trägerin an, die sich in Menschenmassen und mit ein paar Kilo zu viel nie richtig wohlgefühlt hat. Denn wir wurden nie sehr viele und blieben immer ziemlich dünn und splissig. Irgendwann hätten wir uns vielleicht damit abgefunden, wenn ihre Mutter nicht diesen schrecklichen Fehler begangen hätte. Sie heiratete einen Friseur, wurde selbst Friseuse und damit begann unser Martyrium. Während unserer Kindheit wurden wir ständig geschnitten, denn bei so dünnem Haar eignen sich nur Kurzhaarfrisuren. Wir hatten immer Mitleid mit unserer Trägerin, denn sie träumte von schönem langen Haar und wurde sogar mit Geld geködert, uns schneiden zu lassen. Sobald wir alt genug waren wurden alle möglichen Arten der Friseurkunst an uns ausprobiert. Heute wissen wir nicht mehr welche natürliche Farbe wir haben. Man müsste ja meinen mit Verlassen des Elternhauses hätte sie uns in Ruhe lassen können, aber dem war leider nicht so. Wir konnten nie eine richtige Beziehung zueinander aufbauen, sodass unser Verhältnis eher einer Hass-Liebe gleicht. Zunächst durften wir zwar endlich wachsen, wurden aber immer wieder blondiert und dauergewellt, was genauso schmerzt und krank macht. Irgendwann hat so ein Typ zu ihr gesagt, dass er sich ja nur in ihre langen blonden Haare verliebt hätte. Am nächsten Tag waren wir dann kurz und rot. Gerechterweise muss man sagen, dass wir ja auch regelmäßig gewaschen und gepflegt wurden und es inzwischen immer längere Ruhephasen gibt. Anscheinend langweilt der Standardsatz ihrer Mutter „Du schaust wieder unmöglich aus“ auch diese selbst schon. Aber wir werden wohl trotzdem nie die Chance haben, in Ruhe alt zu werden. Ein Problem unserer Trägerin ist, dass sie ständig Veränderungen in ihrem Leben braucht. Das Gefühl, dass es gut ist wie es gerade ist und für den Rest ihres Lebens so bleiben kann, ist ihr anscheinend - für uns unverständlicherweise - ein Horror. Und wenn in solch einer Phase der Rastlosigkeit nicht gerade so etwas wie eine neue Arbeitsstelle, ein anderer Mann oder eine interessante Freizeitbeschäftigung in Aussicht sind, müssen halt wieder wir dran glauben. Nachdem wir uns nun nach vielen Jahren an unsere Wenigkeit gewöhnt und unsere Trägerin kennen- und irgendwie auch liebengelernt haben, machen wir natürlich alles geduldig mit. Zumal wir wohl auch keine andere Wahl haben.
Es bleibt eben: Das Leben ist ungerecht!

Schreibbuch

Hier noch zwei Bemerkungen, die später auch in der Schreibwerkstatt gelten:
1. Alles, was in der Werkstatt entsteht, sind selbstverständlich erst noch Rohentwürfe; Zeit zur Überarbeitung bleibt in der Regel nicht.
2. Man sollte nie von einem Text direkt auf den Schreiber schließen - in jedem Werk steckt natürlich mehr oder weniger von einem selbst, aber auch viel Phantasie und Erfahrungen anderer.

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